Lehrangebote

Michael Schwarz

MA Raumstrategien

Seminar

„Kognitives Kapital“ und „Big Data“ in Kunst und Alltag

„Die Triebkraft, welche den Fortschritt der Maschinen bewirkt, schließt ihrem Wesen nach aus, daß der Mensch zugleich mit seiner Versklavung einem elenden Dasein ausgeliefert wird“? (Samuel Butler, Das Buch der Maschinen, 1872)

„The very nature of the motive power which works the advancement of the machines precludes the possibility of man’s life being rendered miserable as well as enslaved”? (Samuel Butler, The Book of the Machines, 1872)

Mit Big Data und dem kognitiven Kapital werden in diesem Semester einige offene Fragen diskutiert, die sich aktuell an die historische Aufarbeitung der Avantgardekunst der letzten zwei Semester anschließen. Der Surrealismus und seine psychoanalytische Tendenz wurden von der Situationistischen Internationalen und einer behavioristischen Haltung abgelöst. Wie verhält sich die Gegenwartskunst zu der neuerlich eingetretenen kognitiven Wende?

Hat sich der Status zwischen materiellem und immateriellem Handeln (Kognition) verschoben, da sich das Gesellschaftlich-Kognitive erst durch die Vernetzung (Internet) ohne den Umweg über Objekte kapitalisieren lässt? Um die Frage zu diskutieren, ob direkt von der biologischen Forschung auf das vernetzte Kognitive übergegangen werden darf, werden wir einen Text von Franco Berardi Bifo mit den Mitteln der Automatentheorie und der Erkenntnistheorie kritisch analysieren. Beistand bei der Untersuchung leistet uns die vielleicht vergessene Kritik an der zu statischen Auffassung des französischen Strukturalismus (C. Lévi-Strauss, J.F. Lyotard, M. Foucault, L. Althusser...) von Jean Piaget. Aber auch die synthetisch negative Dialektik von Gaston Bachelard und sein Begriff der schöpferischen Einbildungskraft können hier hilfreich sein (wir hatten schon öfters über die Genese bzw. Strukturbildung gesprochen).

Es geht in diesem Seminar aber auch um die „Capture-All“-Mentalität (transmediale) und um die Frage, was vor diesem Hintergrund überhaupt für „kognitives Verhalten“ erfasst, vorhergesagt, kapitalisiert wird, und wie dies zur eigentlichen kognitiven Fähigkeit des Menschen steht – dem Verstehen. Werden wir mit dem Umgang von Big-Data-Analysen – an der TU Berlin als „Sexiest Job“ des 21. Jahrhunderts beworben – einen Teil unseres Verstehen-Vermögens an Maschinen abtreten? Hat sich dadurch die Prophezeiung der Erewhonier (Samuel Butler), die Herrschaft einer „Maschinen-Intelligenz“ zu übergeben, bereits eingelöst? Können wir überhaupt diese flachen Formalismen von unseren tiefen Einsichten unterscheiden?

Rückblick: Wie wir in den letzten beiden Semestern thematisiert haben, zeigte sich in den historischen, künstlerischen Avantgarden neben einem revolutionär-politischen Potential (anarchistisch oder marxistisch) stets auch implizit ein erkenntnistheoretischer Hintergrund durch die konkret künstlerischen Experimente meist auch eine Beziehung zur jeweils zeitgenössischen Psychologie. Im letzten Semester haben wir neben eigenen Experimenten (zur Kognition) verschiedene international wichtige Künstlerbewegungen in den 1950er bis 1960er Jahren genauer untersucht. Trotz künstlerisch-autonomen Ansprüchen haben diese sich von einer philosophisch-idealistischen Ästhetik distanziert und sie in einen entwicklungspsychologischen bzw. -soziologischen Kontext gestellt, der bis in den Alltag reichen sollte. Auch hier ist nach einem aktuellen künstlerischen Standpunkt zu fragen.


-> In diesem Seminar besteht die Möglichkeit aktuelle künstlerische Positionen zu den Themenfeldern, gerne auch eigene Arbeiten (theoretische oder praktische), in Referaten vorzustellen und zu diskutieren. Auch schriftliche Hausarbeiten zu den Themen sind möglich.

Einführende Literatur:

Bachelard, Gaston: Die Philosophie des Nein. Versuch einer Philosophie des neuen wissenschaftlichen Geistes. Wiesbaden 1978.
Bachelard, Gaston: The Philosophy of No. A Philosophy of the New Scientific Mind. New York 1968.
Berardi, Franco Bifo: Das neuroplastische Dilemma. Über Bewusstsein und Evolution, in: Springerin 2014, Heft 4, S. 38-41.
Berardi, Franco Bifo: The Neuroplastic Dilemma. Consciousness and Evolution, in: e-flux journal, #60 december 2014.
Butler, Samuel: Merkwürdige Reisen ins Land Erewhon [1872]. Berlin 1964.
Butler, Samuel: Erewhon, or, Over the range [1872]. London 1910.
Mayer-Schönberger, Viktor und Cukier, Kenneth: Big Data. Die Revolution, die unser Leben verändern wird. München 2013.
Mayer-Schönberger, Viktor und Cukier, Kenneth: Big data. A revolution that will transform how we live, work, and think. London 2013.
Piaget, Jean: Der Strukturalismus. Freiburg 1973.
Piaget, Jean: Structuralism. New York 1970.
Reichert, Ramón: Analysen zum digitalen Wandel von Wissen, Macht und Ökonomie. Bielefeld 2014.
Tiqqun: Kybernetik und Revolte. Zürich, Berlin 2007.
Wiener, Oswald: Kybernetik und Gespenster. Im Niemandsland zwischen Wissenschaft und Kunst, in: manuskripte. ZEITSCHRIFT FÜR LITERATUR, März 2015, Nr. 207, S. 143-163.

Sommersemester 2015

1. und 2. Studienabschnitt

Wochentag(e) : Mittwoch

Turnus : Wöchentlich

Zeit: 14.00 h – 18.00 h

Beginn : 14.04.15

Ende : 14.07.15

Ort : Raumstrategien, T3.01


Teilnehmerzahl : 0 (0)