Sommersemester 2014, Projektarchiv Mode

greenlab 3.0 — postcarbon Design für eine zukunftsfähige Lausitz

greenlab – das Labor für nachhaltige Designstrategien der Kunsthochschule Berlin Weißensee – wurde im Sommer 2010 gegründet. Seitdem arbeitet es an der Entwicklung innovativer Konzepte für nachhaltige Dienstleistungen und umweltfreundliche Produkte. Dabei werden alle gestalterischen Fachbereiche der Kunsthochschule Berlin Weißensee, also Produkt-Design, Textil- und Flächen-Design, Mode-Design und Visuelle Kommunikation einbezogen.

»greenlab 1.0« schaffte es, dieses neue Format an der Hochschule zu etablieren. »greenlab 2.0 – Learning from Nature« beschäftigte sich mit der Frage, ob und wie nachhaltige Designstrategien aus der Natur abgeleitet werden können. »greenlab 3.0« geht einen Schritt weiter. Wir verließen den geschützten, universitären Raum. Wir gingen in die Lausitz – eine Landschaft im südöstlichen Brandenburg und im östlichen Sachsen. Sie ist geprägt von einer dünnen Besiedlung, einer gewaltigen Industrialisierung und einer heftigen Deindustrialisierung von Braunkohleabbau, Abwanderung und Deutschlands größter nationalen Minderheit – den Sorben.

Wir suchten nach Ansätzen für eine zukunftsfähige Entwicklung der Region. Wie wird man künftig in der Lausitz leben und wirtschaften? Wie können die kulturellen und natürlichen Ressourcen der Region dabei bewahrt und weiterentwickelt werden? Können traditionelle Elemente modern interpretiert und in interessante und zukunftsfähige Konzepte, Produkte, Prozesse oder Services verwandelt werden? Welchen Beitrag können Designer für die Entwicklung einer Region leisten? In der Zusammenarbeit mit Initiativen, Institutionen und Firmen vor Ort mussten sich unsere Entwürfe nicht nur daran messen lassen, ob sie ökologisch vertretbar sind. Sie mussten sich hier auch fragen lassen, ob sie den Bedingungen in der Lausitz auch sozial, kulturell und ökonomisch gerecht werden.

Wie aber bringt man Studierenden – darunter einige aus der Schweiz, dem Iran, Italien oder Korea, die die Lausitz nicht einmal dem Namen nach kennen – die Eigenart dieser Region nahe? Als Auftakt des Projekts fand in der Aula der Kunsthochschule Berlin Weißensee ein zweitägiges Symposium statt. Referenten aus der Lausitz sprachen zum Beispiel über die Internationale Bauausstellung Fürst-Pückler-Land, über Hoyerswerda, die Tradition der Lausitzer Glasindustrie oder die Perspektiven für eine zeitgenössische, sorbische Alltagskultur. Designer und Regionalentwickler sprachen über ihre Erfahrungen mit Social Design, Open Source und Kreislaufwirtschaften, Handwerk und lokaler Produktion, Co-Design und Material-Aktivismus. In einem Workshop stellten Designforscher vom Textiles Environment Design (TED) und vom Textile Futures Research Centre (TFRC) in Großbritannien nachhaltige Designstrategien zur Diskussion.

In einer einwöchigen Exkursion besuchten alle Studierenden – aufgeteilt in drei Gruppen – Handwerker, Firmen, Institutionen und Initiativen in der Lausitz. Das Spektrum reichte von sorbischen Kindergärten über eine Ziegenkäserei und eine Weberei bis zu Baustoffproduzenten. Die Abende vergingen mit gegenseitigen Präsentationen des jeweiligen Exkursionstages und Gesprächen mit Gästen aus der Lausitz.

Anknüpfend an den Besuch des Fraunhofer Anwendungszentrums für Biopolymere im Innovationszentrum Bioplastics Schwarzheide, hatten die Studierenden die Möglichkeit, an einem Workshop zu Lausitzer Biokompositen teilzunehmen, der von der Designerin Mareike Gast geleitet wurde. Biokunststoffe auf Basis von Stärke, Milch, Gelatine wurden mit Naturfasern oder Naturtextilien auf ihre gestalterischen und konstruktiven Eigenschaften untersucht. Ein weiterer Workshop zum Färben mit Lausitzer Färbepflanzen wurde von der Designerin Anne Hederer konzipiert und geleitet. Nach der vertiefenden Recherche zu lokalen Materialien wurden die Erfahrungen in konkreten Entwürfen erprobt.

Im Rahmen der individuellen Entwurfsprojekte gab es eine enge Abstimmung und Präsentationen der jeweiligen Entwürfe bei den jeweiligen Projektpartnern vor Ort in der Lausitz, wie zum Beispiel dem Haus Schminke in Löbau, dem Arznei- und Gewürzpflanzengarten in Burg oder der Brauerei Kircher in Drebkau. Es wurde keine Mühe gescheut. Aber wozu der ganze Aufwand?

Design ist heute kein fest umrissenes Aufgabenfeld mehr. Am stärksten spüren dies wohl Textil- und Flächendesigner. Sie müssen sich neue Gestaltungsaufgaben suchen, weil die Textilindustrie in Europa längst nicht mehr die Rolle spielt, die sie einmal hatte. Ganz ähnlich ist die Lage für Kommunikationsdesigner. Ihr Aufgabenfeld hat sich durch die digitalen Medien erheblich erweitert. Durch die digitalen Werkzeuge können Laien heute jedoch vieles, was früher Grafikdesigner taten – zumindest technisch – selbst bewältigen. Zwischen Handwerk, neuen Technologien, Unikat und Serienprodukt müssen sich auch Produktdesigner neu positionieren.

Die Lausitz ist kein schlechter Ort, um damit anzufangen. Die Region muss den scheinbaren Widerspruch von globaler Wirtschaft und lokaler Subsistenz aushalten. Aus der Lausitz werden in absehbarer Zeit keine Auftraggeber kommen, die aus eigener Initiative Designer engagieren. Wer in der Lausitz Designaufgaben sucht, muss hinfahren. Der muss hinsehen, nachfragen, anfassen, begreifen. Vielleicht kann er dann eine Lösung vorschlagen – aber dies wird der Anfang, nicht das Ende, einer Diskussion sein. Wahrscheinlich geht es weniger um das Entwerfen für die Serie, sondern um die Anpassung auf die lokale Situation. Kommunikation und die Implementierung von Lösungen sind Teil der Aufgabe.

Die letzte Herausforderung wird es sein, sich rechtzeitig vom Acker zu machen. Designer können Katalysatoren sein, sie können die Lösung möglich machen. Aber sie selbst sind nicht die Lösung. Dies zu verstehen ist die Herausforderung: Designer werden die Lausitz nicht retten. Aber sie können jenen, die in der Lausitz leben und sie entwickeln, nützlich sein. Designer können sich nützlich machen. 

Betreuung Prof. Susanne Schwarz-Raacke, Prof. Dr. Zane Berzina, Prof. Heike Selmer
ProjektkategorieSemesterprojekt